Jodmangel, niedrige Thyroxinwerte, endokrine Disruptoren und ihre Auswirkungen

Übersichtsarbeit von Beiräten des Arbeitskreises Jodmangel e.V. beleuchtet die Folgen der drei Faktoren auf die kindliche Gehirnentwicklung

Frankfurt, 26.10.2023 Jodmangel, eine isolierte Hypothyroxinämie bei der Mutter sowie die Auswirkungen sogenannter endokriner Disruptoren – drei Faktoren, die einzeln aber auch zusammen die embryonale und fetale Gehirnentwicklung negativ beeinflussen können. So fassen die Beiräte des Arbeitskreises Jodmangel e. V. (AKJ) Prof. Dr. med. Rolf Großklaus, Dr. med. Klaus-Peter Liesenkötter, Dr. med. Klaus Doubek, Prof. Dr. med. Henry Völzke und Prof. Dr. med. Roland Gärtner die Ergebnisse der gemeinsam erstellten Übersichtsarbeit mit dem Titel „Iodine Deficiency, Maternal Hypothyroxinemia and Endocrine Disrupters Affecting Fetal Brain Development: A Scoping Review“ zusammen, die im renommierten Schweizer Fachjournal Nutrients veröffentlicht wurde. „Für unsere Übersichtsarbeit haben wir insgesamt 279 Publikationen der vergangenen 30 Jahre zu den Auswirkungen eines leichten bis moderaten Jodmangels, verminderter mütterlicher Thyroxinwerte und dem Einfluss endokriner Disruptoren auf die kindliche Gehirnentwicklung während der Schwangerschaft untersucht und kritisch diskutiert“, erklärt Prof. Großklaus. Doch welche Maßnahmen müssten gemäß des Vorsorgeprinzips ergriffen werden, um diesen drei Faktoren entgegenzuwirken?

Jodmangel und vermindertes Thyroxin in der Schwangerschaft

Die Schilddrüse und ihre Hormone Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3) spielen in der Schwangerschaft eine bedeutende Rolle – unter anderem für die neurokognitive Entwicklung des ungeborenen Kindes sowie in der frühen postnatalen Phase. Besonders die embryonale Gehirnentwicklung hängt dabei vom maternalen T4 ab – genauer gesagt vom freien Thyroxin (fT4). Denn in den ersten vier Monaten wird ausschließlich fT4 aktiv durch die Plazenta transportiert. Erst um die 12. Schwangerschaftswoche beginnt die kindliche Schilddrüse langsam selbst Hormone zu bilden, wodurch die Bedeutung von Jod für das Kind zunimmt. Prof. Großklaus und seine Kollegen fanden heraus, dass bereits bei niedrigen maternalen Thyroxinleveln innerhalb der Referenzwerte geringfügige Veränderungen der kindlichen Gehirnentwicklung auftreten. „Neben solchen verminderten Thyroxinwerten beziehungsweise einer frühen Form der isolierten maternalen Hypothyroxinämie kann in der Frühschwangerschaft zudem schon ein leichter bis mäßiger Jodmangel zu langfristigen negativen Folgen für die physische, neurologische und intellektuelle Entwicklung des Kindes führen. Diese sind wiederum von der Schwere, Dauer und dem Zeitpunkt des Jodmangels abhängig, was die Bedeutung einer bedarfsgerechten Jodversorgung bereits vor der Schwangerschaft unterstreicht“, betont Prof. Gärtner, Mitautor und erster Vorsitzender des AKJ. „Doch die Jodzufuhr ist weltweit bei mehr als der Hälfte der Frauen in der Schwangerschaft defizitär. In Europa ist der Anteil noch höher, wo 70 Prozent der Länder eine unzureichende Jodzufuhr aufweisen. Dies betrifft oft Länder, die auf eine freiwillige Jodanreicherung von Speisesalz sowie dessen Einsatz bei der Lebensmittelherstellung setzen. Denn die alleinige Verwendung von Jodsalz im privaten Haushalt ist nicht ausreichend, sodass derzeit insbesondere für Frauen im gebärfähigen Alter bei Kinderwunsch eine zusätzliche Jodsupplementation bereits vor der Empfängnis empfohlen werden sollte“, ergänzt Prof. Großklaus.

Einfluss endokriner Disruptoren und die Rolle einer ausreichenden Jodversorgung

Ein zusätzliches Risiko für das Schilddrüsenhormonsystem besteht neben dem Jodmangel und der maternalen Hypothyroxinämie in der allgegenwärtigen Exposition gegenüber endokrinen Disruptoren, teilweise auch als Umwelthormone bezeichnet. „Dabei handelt es sich um Chemikalien und andere Substanzen, die auf vielfältige Art und Weise den Jod- und Schilddrüsenstoffwechsel sowie hormonelle Signalwege stören. Liegt zusätzlich ein Jodmangel vor, verstärkt dieser die negativen Effekte auf die neurokognitive Entwicklung des ungeborenen Kindes. Somit ist es umso essentieller, eine adäquate Jodzufuhr sicherzustellen, auch um möglicherweise den Auswirkungen endokriner Disruptoren gegensteuern zu können“, so Prof. Großklaus.

Vorsorgeprinzip verpflichtet zum Handeln

Beim Umgang mit endokrinen Disruptoren stellen Prof. Großklaus und Kollegen heraus, dass es detaillierter Strategien gemäß des „Vorsorgeprinzips“ bedarf. Diese sollten unter anderem eine weltweit angemessene Jodversorgung, die Identifizierung schädlicher, endokrin wirksamer Chemikalien sowie deren Expositionsreduktion umfassen. Prof. Gärtner fügt hinzu: „Letzteres fordert auch die Bundesärztekammer in einem Brief an die Europäische Kommission und mahnt eine rasche Umsetzung der Reform der Chemikalienverordnung an, um den Gesundheitsschutz der Bevölkerung in Europa zu verbessern.“ Dies könne man nur vollumfänglich unterstützen, bekräftigt der Vorsitzende des Arbeitskreis Jodmangel und spricht sich gemeinsam mit Prof. Großklaus für weitere Studien zum Einfluss einer unzureichenden Jodversorgung, der isolierten maternalen Hypothyroxinämie sowie endokriner Disruptoren unter anderem auf die neurokognitive Entwicklung von Kindern während der Schwangerschaft und darüber hinaus aus.

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