Gefährlicher Trend: Lugol’sche Lösung für Jodsupplementation und Jodsättigungstest

Die orale, unsachgemäße Anwendung jodhaltiger Mixturen birgt gesundheitliche Risiken

Frankfurt, 10.06.2021 Ob im Rahmen des sogenannten Jodsättigungstests nach Brownstein und Abraham oder zur individuellen Jodsupplementation – immer wieder gibt es Personen, die eigenständig die Lugol´sche Lösung oral anwenden. Meist in der Annahme es wäre gesund oder gar ein Medikament zur Behandlung von unterschiedlichsten Erkrankungen. Kein Wunder, denn die Lugol‘sche Lösung wird in einschlägigen Foren als altbekanntes Heilmittel und gesunde Form der Nahrungsergänzung beworben. „Die orale Einnahme der Lugol’schen Lösung oder anderer Jodtinkturen ist gefährlich und ein höchst bedenklicher Trend“, warnt Professor Dr. Roland Gärtner, Endokrinologe an der Universität München und erster Vorsitzender des Arbeitskreises Jodmangel e.V. (AKJ). „Der extrem hohe Jodgehalt kann zu massiven Funktionsstörungen der Schilddrüse führen. Anfänglich kommt es immer zu einer kompletten Blockierung der Schilddrüsenfunktion mit einer temporären Hypothyreose. Nach ein bis zwei Wochen kann sich die Schilddrüsenfunktion wieder erholen. Aber bei Patienten mit bestehenden Schilddrüsenerkrankungen, wie autonomen Adenomen oder einer Autoimmunthyreoiditis, können anschließend eine permanente Hypo- aber auch eine manifeste Hyperthyreose, also eine Überfunktion, auftreten. Diese ist dann nur schwer zu behandeln, da die verfügbaren Medikamente kompetitiv zum Jodgehalt der Schilddrüse wirken.“ Die Lugol’sche Lösung ist nicht als Nahrungsergänzung oder Medikament zugelassen, sondern nur zur äußeren Anwendung als Desinfektionsmittel. Dies aber auch nur in Ausnahmefällen, da das Jod auch über die Haut aufgenommen werden kann.

Was ist die Lugol’sche Lösung?

Dem französischen Arzt Jean Guillaume Lugol gelang es im 19. Jahrhundert schwer lösliches elementares Jod mithilfe von Kaliumjodid in destilliertem Wasser zu lösen. Die nach ihm benannte Lugol’sche Lösung besteht neben dem demineralisierten Wasser aus fünf Prozent elementarem Jod und zehn Prozent Kaliumjodid. „Schon ein Tropfen der Lugol’schen Lösung enthält ein Vielfaches der Zufuhrempfehlung für Erwachsene von 200 Mikrogramm Jod am Tag. Ganze 50 Milligramm Jod, also 50.000 Mikrogramm, stecken in einem Milliliter der Lösung. Für die orale Anwendung ist sie zudem vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gar nicht zugelassen“, erklärt Professor Gärtner. „Unabhängig davon gilt es zu beachten, dass nur das einfach negativ geladene Jodid aktiv in die Schilddrüse aufgenommen wird. Das elementare Jod hingegen ist eines der potentesten Oxidationsmittel und der Grund für die desinfizierende Wirkung der Lugol´schen Lösung. Denn es oxidiert organische Verbindungen wie Fette, Proteine oder Kohlenhydrate und tötet so beispielsweise Viren, Pilze und Bakterien ab. Jodierte organische Verbindungen, nicht aber das Jod selbst, können im Körper allergische beziehungsweise pseudoallergische Reaktionen auslösen, die dann fälschlicherweise als ‚Jodallergie‘ bezeichnet werden.“

Die Hersteller der Lugol’schen Lösung warnen auf entsprechenden Sicherheitsdatenblättern vor den gesundheitlichen Gefahren bei einer oralen Aufnahme, vor allem bei wiederholter und langfristiger Exposition. „Früher kam die Lugol’sche Lösung als Desinfektionsmittel häufig zum Einsatz. Heutzutage wird sie dafür nur noch sehr selten verwendet, zum Beispiel bei Eingriffen, die unter extremer Keimfreiheit durchgeführt werden müssen. Im Labor wird sie zur Gram‑Färbung von Bakterien sowie zum Stärkenachweis genutzt“, ergänzt Professor Gärtner.

Der Jodsättigungstest nach Brownstein und Abraham

Mithilfe des Jodsättigungstests soll der individuelle Jodstatus abgeschätzt werden können – so die Theorie der beiden US‑amerikanischen Ärzte Brownstein und Abraham: Dazu müssen die Patienten 50 Milligramm Jod als Lugol’sche Lösung oral aufnehmen. Anschließend sammeln sie über 24 Stunden ihren Urin und lassen darin die Jodkonzentration bestimmen. Wurden über 45 Milligramm, also 90 Prozent, des zugeführten Jods wieder ausgeschieden, ist der Versorgungsstatus ausreichend. Sind es weniger, besteht ein Mangel. „Dieser Test wurde wissenschaftlich nie validiert und ist überhaupt nicht aussagekräftig“, sagt Professor Gärtner. „Zum einen gehen die Entwickler von einem Gesamtkörperbestand an Jod von 60 Milligramm aus, der laut Fachliteratur allerdings auf 10 bis 20 Milligramm geschätzt wird. Zum anderen liegt dem Test die Annahme zugrunde, dass überschüssiges Jod renal rasch ausgeschieden wird. Dies trifft allerdings nur für das negativ geladene Jodid zu, wie es zum Beispiel in Nahrungsmitteln oder Jodsalz vorkommt. Das elementare Jod ist jedoch, wie bereits erwähnt, äußerst reaktiv und bindet an organische Verbindungen, weshalb es nicht sofort ausgeschieden werden kann. Nur ein geringer Teil liegt als Jodid vor“ Laut Brownstein und Abraham ist es zudem möglich, bei einem so diagnostizierten Jodmangel die Lugol’sche Lösung direkt weiter zur Jodsupplementation zu nutzen, um das vermeintliche Defizit auszugleichen. Dieses Vorgehen gilt als äußerst umstritten und gefährlich.

Bestimmung der individuellen Jodversorgung – eine Herausforderung

„Der einfachste und am besten validierte Test zur Bestimmung des individuellen Jodversorgungsstatus der Schilddrüse besteht in der Bestimmung der freien Schilddrüsenhormone fT4 und fT3 im Serum. Liegt das fT4 im mittleren Normalbereich, ist die Jodversorgung ausreichend. Ein niedrig normaler fT4-Wert bei einem gleichzeitig eher hohen fT3 spricht hingegen für einen zu niedrigen Jodstatus der Schilddrüse“, erläutert Professor Gärtner.

„Neuerdings erfolgt auch wieder die Jodbestimmung im Serum – eine Messmethode, die vor der Möglichkeit fT4 und fT3 zu bestimmen, eingesetzt wurde. Dabei werden alle Schilddrüsenhormone gemeinsam mit ihren jodierten Abbauprodukten bestimmt, was in etwa mit der Menge an aktiven Schilddrüsenhormonen korreliert. Es war bis vor mehr als 70 Jahren die einzige Methode, die Menge der Schilddrüsenhormone im Serum abzuschätzen. Freies Jodid wird allerdings unmittelbar in die Schilddrüse aufgenommen und überschüssiges über die Niere ausgeschieden, und kommt im Serum gar nicht vor. Die Jodbestimmung im Serum erlaubt deswegen keine Aussage über den Jodstatus der Schilddrüse, die Bestimmung von fT4 und fT3 schon“, so Professor Gärtner weiter. Ein weiterer Test, die bekannte Analyse der Jodkonzentration im Urin, kommt hingegen nur in epidemiologischen Studien zur groben Abschätzung des Versorgungsstatus auf Bevölkerungsebene zum Einsatz, zumal diese aufgrund von Einflussfaktoren wie dem individuellen Hydratationsstatus stark variieren kann. Die individuelle Jodbestimmung im Urin erlaubt ebenfalls keine direkte Beurteilung der Jodsättigung der Schilddrüse.

Weitere Informationen zu dem Thema Jod finden Sie unter https://jodmangel.de/

 

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Quellen:

1. Abraham, G. (2004). The safe and effective implementation of orthoiodosupplementation in medical practice. The Original Internist, S. 17-36.
2. Gärtner, R. (2015). Jodstoffwechsel und Einflüsse auf Erkrankungen der Schilddrüse. ErnährungsUmschau, S. 694-703.
3. Leung, A.M., Braverman L.E. (2014). Consequences of excess iodine. National Reviews endocrinology, S. 136-142.
4. Aufgespießt aus Internet und Werbung: Lugol’sche Lösung (2016) Gute Pillen – Schlechte Pillen: 03 S. 22, Gemeinnützige Gesellschaft für unabhängige Gesundheitsinformation mbH (Hrsg.) https://gutepillen-schlechtepillen.de/wp-content/uploads/pdf/2016-03-22.pdf (zuletzt aufgerufen am 26.05.2021)
5. Sicherheitsdatenblatt: Jod-Kaliumjodidlösung nach Lugol (2021) Carl Roth GmbH + Co KG (Hrsg.), https://www.carlroth.com/medias/SDB-N052-DE-DE.pdf?context=bWFzdGVyfHNlY3VyaXR5RGF0YX%20NoZWV0c3wyNzM1ODV8YXBwbGljYXRpb24vcGRmfHNlY3VyaXR5RGF0YXNoZWV0cy9oMGYvaGFlLzkwMTkzNjk1ODY3MTgucGRmfDkyYWQyOTE3ODE3MTg4YzVkMzEyYzIyMGFlNjg1YjFlN2U1OTJhNDNlOWU3MjI2ZDc3YTk1NjExZjVlYTkwNWM (zuletzt aufgerufen am 26.05.2021)
6. Bundesinstitut für Risikobewertung – BfR (Hrsg. (2004) Domke A., Großklaus R., Niemann B., Przyrembel H., Richter K., Schmidt E., Weißenborn A., Wörner B., Ziegenhagen R.; Verwendung von Mineralstoffen in Lebensmitteln – Toxikologische und ernährungsphysiologische Aspekte, Teil 2,https://www.bfr.bund.de/cm/350/verwendung_von_mineralstoffen_in_lebensmitteln_bfr_wissenschaft_4_2004.pdf (zuletzt aufgerufen am 26.05.2021)
7. Ritz D, Beckwith J. (2001) Roles of thiol-redox pathways in bacteria. Annu Rev Microbiol.; 55:21-48. doi: 10.1146/annurev.micro.55.1.21.

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