Die Jodversorgung der deutschen Bevölkerung ist unzureichend!

Positionspapier des Arbeitskreises Jodmangel e.V. zur Jodversorgung in Deutschland

Ab der Empfängnis bis ins hohe Alter spielt das Spurenelement Jod eine essentielle Rolle. Es ist zentraler Bestandteil der Schilddrüsenhormone Tetrajodthyronin (Thyroxin, T4) und Trijodthyronin (T3), die unter anderem für einen optimalen Schwangerschaftsverlauf, die fetale und kindliche Gehirnentwicklung, ein normales Wachstum, die Knochenbildung und den Energiestoffwechsel von großer Bedeutung sind. Körperliche und neuronale Entwick­lungsstörungen, eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit, beeinträchtigte feinmotorische Fähigkeiten, aber auch Schilddrüsenvergrößerungen (Strumen) und knotige Veränderungen im Schilddrüsengewebe (Schilddrüsenknoten) gehören zu den gravierenden Folgen eines Jodmangels.1-5

Versorgungsstand in Deutschland

Die Ergebnisse der zweiten Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen „KiGGS Welle 2“ des Robert Koch-Instituts (RKI) von 2014 bis 2017 zeigen deutlich, dass die Jod­versorgung in Deutschland mangelhaft und rückläufig ist. Demnach lag die mittlere Jodkonzentration im Urin bei den 3.327 untersuchten Kinder und Jugendlichen im Alter von drei bis 17 Jahren mit 88,8 Mikrogramm (µg) pro Liter unterhalb des von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierten Grenzwertes von 100 Mikrogramm pro Liter. Die aus den Messdaten kalkulierte durchschnittliche Jodzufuhr am Tag hat sich gegenüber der ersten KiGGS-Studie von 2003 bis 2006 um 13 Prozent von 95 Mikrogramm auf 83 Mikrogramm verschlechtert.6 Damit weisen heute mehr Kinder ein erhebliches Jodmangelrisiko auf. In Zahlen ausgedrückt: 43,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen nehmen täglich Jod in einer Menge auf, die nicht ausreicht, um ihren geschätzten mittleren Bedarf (Estimated Average Requirement) zu decken.7 Die Zufuhrempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) liegen je nach Altersgruppe bei 100‑200 Mikrogramm Jod am Tag.8 Analog zum Jodmonitoring der zweiten KIGGS-Studie „KiGGS Welle 2“ konnte eine 2019 abgeschlossene Langzeitanalyse bei 6- bis 12-jährigen Schulkindern (Teil der Dortmunder DONALD-Studie) ebenfalls einen signifikanten Rückgang der Jodversorgung beobachten.9

Bereits die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) von 2008 bis 2011 mit 6.978 Probanden hat ergeben, dass wesentliche Teile der Bevölkerung nicht ausreichend mit Jod versorgt sind. In der Studie lag die mittlere Jodkonzentration im Urin bei Frauen bei 54 Mikrogramm pro Liter und bei Männern bei 69 Mikrogramm pro Liter. Die geschätzte Jod­zufuhr betrug bei Frauen 125 Mikrogramm und bei Männern 126 Mikrogramm am Tag. Über 30 Prozent der deutschen Bevölkerung und insbesondere fast 45 Prozent der jungen Frauen im gebärfähigen Alter erreichten damit ihren geschätzten mittleren Bedarf für die entsprechende Altersgruppe nicht und besitzen ein deutliches Jodmangelrisiko.10-12 Besonders für Schwangere und Stillende steigt aufgrund eines erhöhten Jodbedarfs die Gefahr einer Unterversorgung und somit auch für deren Kinder. Weitere Risikogruppen für eine defizitäre Jodversorgung sind beispielsweise Vegetarier, Veganer und Personen mit Allergien oder Unverträglichkeiten gegen Milchprodukte, Fisch oder Eier, beziehungsweise diejenigen, die diese Lebensmittelgruppen in geringen Mengen verzehren.

Hindernisse für eine ausreichende Jodversorgung

Die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für die tägliche Jodzufuhr liegen je nach Altersklasse bei Kindern zwischen 100 und 180 Mikrogramm und bei Jugendlichen sowie Erwachsenen zwischen 180 und 200 Mikrogramm. Während der Schwangerschaft werden für eine ausreichende Jodversorgung von Mutter und Kind 230 Mikrogramm und in der Stillzeit 260 Mikrogramm am Tag empfohlen. Für Säuglinge gelten Zufuhrempfehlungen von 40 Mikrogramm (Schätzwert) im Alter bis vier Monaten und 80 Mikrogramm im Alter von vier bis zwölf Monaten.8

Maritime Lebensmittel wie Seefisch, Meeresfrüchte und Algen weisen von Natur aus hohe Jodgehalte auf. Allerdings tragen jodiertes Speisesalz sowie damit hergestellte Lebensmittel und aufgrund der Jodierung von Tierfuttermitteln auch Milch und Milchprodukte sowie Hühnereier erheblich zur Jodversorgung bei.1,13 Laut der WHO ist die universelle Jodierung von Salzen (Universal Salt Iodization) die beste Strategie, um Jod zusätzlich zu einer jodreichen Ernährung bereitzustellen. Jedoch ist Deutschland von solch einer universellen Salzjodierung noch weit entfernt. Zwar nutzen 80 Prozent der Haushalte in der Bundesrepublik Jodsalz zum Kochen und Würzen, doch stammen 80 bis 90 Prozent der täglichen Salzzufuhr nicht aus der eigenen Küche, sondern aus industriell oder handwerklich hergestellten Lebensmitteln. Weniger als 30 Prozent dieser Lebensmittel enthalten wiederum jodiertes Speisesalz, wie eine repräsentative Markterhebung der Universität Gießen im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft von 2019 zeigt.14-16 Biomarker-basierte Untersuchungen der Jod- und Natriumkonzentrationen in den Urinproben der DEGS-Studie und der zweiten KiGGS-Studie „KiGGS Welle 2“ durch das RKI und die Universität Bonn bestätigen einen Anteil von Jodsalz an der Gesamtsalzzufuhr von lediglich etwa 30 Prozent.9,14,16

Die Gründe für die geringe Verwendung von jodierten Salzen in der Lebensmittelindustrie und im Lebensmittelhandwerk sind Kostendruck, ein geringes Problembewusstsein in der Bevölkerung, die Kennzeichnung von Jodsalz als zusammengesetzte Zutat und unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen innerhalb der Europäischen Union, wie die heterogene Zulassung verschiedener Jodverbindungen, der obligate oder freiwillige Einsatz von Jodsalzen in lebensmittelproduzierenden Gewerben sowie unterschiedliche Höchstmengenregelungen. Darüber hinaus erfolgt zwar in den EU-Mitgliedsstaaten eine Jodierung von Tierfuttermitteln im Rahmen des geltenden europäischen Futtermittelrechts mit klar definierten Höchstmengen, allerdings lässt dieses aufgrund nicht explizit vorgegebener Mindestmengen erhebliche Schwankungen des Jodierungsgrades von Tierfuttermitteln zu. All dies führt zu länderspezifisch unterschiedlichen Jodeinträgen in die menschliche Nahrungskette und letztlich zu einer heterogenen Jodversorgung aller EU‑Bürger.17-19

Dringender Handlungsbedarf

Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass Deutschland wieder ein Jodmangelgebiet ist. Daher begrüßt der Arbeitskreis Jodmangel e.V. ausdrücklich das Bestreben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, den Jodierungsgrad im Speisesalz von derzeit 15-25 Milligramm pro Kilogramm Sacksalz auf 20-30 Milligramm pro Kilogramm zu erhöhen. Dies würde einer künftigen Jodzufuhr von 25 Mikrogramm pro Gramm Salz entsprechen (derzeit 20 Mikrogramm). Allerdings kann und darf dies nur ein erster Schritt hin zu einer ausreichenden Jodversorgung sein! Mindestens ebenso wichtig ist es, die Zufuhr von Jod über Salz auch aus verarbeiteten Lebensmitteln zu verbessern – besonders vor dem Hintergrund aktueller Ernährungstrends wie einem vermehrten Außer-Haus-Verzehr und einer stärkeren Nachfrage nach Fertig- und Convenience-Produkten. Dies setzt voraus, dass das Lebensmittelhandwerk und die Lebensmittelindustrie die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten zum Einsatz von jodiertem Speisesalz besser nutzen. Zudem sollte politisch unterstützte Aufklärungsarbeit dazu beitragen, Vorbehalte gegenüber Jodsalz auf Herstellerseite abzubauen. Darüber hinaus ist es dringend notwendig, Handelsnachteile zu korrigieren. In Deutschland kann dies zum Beispiel durch konzertierte Maßnahmen zur Förderung der Akzeptanz von Jodsalz in der Bevölkerung und den Abbau von unbegründeten Ängsten vor einer Zwangs- oder Überjodierung gelingen. Für den internationalen Warenverkehr ist es wiederum erforderlich, einheitliche rechtliche Grundlagen zu schaffen – insbesondere eine EU-weite Regelung von Höchst- und Mindestmengen für Jod.

Für eine ausreichende und adäquate Jodversorgung sowie effektive Jodmangelprophylaxe fordert der Arbeitskreis Jodmangel e.V.:

  • Initiierung, Intensivierung und Förderung einer langfristigen und nachhaltigen Aufklärungsarbeit zur Bedeutung des Spurenelements Jod und zur Notwendigkeit einer Jodmangelprophylaxe – besonders bei Frauen im gebärfähigen Alter, Schwangeren und Stillenden.
  • Gesundheitspolitische Strategien zur nachhaltigen Gewährleistung einer ausreichenden Jodversorgung auf Bevölkerungsebene
  • Eine von der WHO empfohlene universelle Salzjodierung gemäß dem Motto: „Wenn Salz, dann Jodsalz“
  • Festlegung einheitlicher Höchst- und Mindestmengen innerhalb der Europäischen Union gemäß der EU-Anreicherungsverordnung (EG NR. 1925/2006)
  • Harmonisierung von lebensmittelrechtlichen Vorschriften
  • Aufbau einheitlicher Kontrollsysteme und von Jod-Monitorings einschließlich der kontinuierlichen Überwachung der Inzidenzrate von Schilddrüsenerkrankungen
  • Abbau von bestehenden Handelshemmnissen im europäischen Binnenmarkt
  • Überprüfung der Deklarationspflicht von jodiertem Speisesalz als zusammengesetzte Zutat

Offizielle Unterstützer des Positionspapiers:

  • ETA – European Thyroid Association
  • IGN – Iodine Global Network
  • BVF – Berufsverand der Frauenärzte e.V.
  • VDOE – BerufsVerband Oecotrophologie e.V.
  • VDD – Verband der Diätassistenten Deutscher Bundesverband e.V. / German Association of Dietitians
Quellen:

1.Bundesinstitut für Risikobewertung – BfR (Hrsg.) (2020) Jodversorgung in Deutschland wieder rückläufig – Tipps für eine gute Jodversorgung. https://www.bfr.bund.de/cm/343/jodversorgung-in-deutschland-wieder-ruecklaeufig-tipps-fuer-eine-gute-jodversorgung.pdf (aufgerufen am 29.04.2020)

2.Gärtner R. (2015) Jodstoffwechsel und Einflüsse auf Erkrankungen der Schilddrüse. ErnährungsUmschau, Vol.12, S.M694-M703

3.Spinas G.A., Fischli S. (2011) Endokrinologie und Stoffwechsel – Kompakt, 2. Vollständig überarbeitete und erweiterte Auflag, Georg Thieme Verlag, Stuttgart

4.Zimmermann M.B. (2009) Iodine Deficiency. Endocrine Reviews, June, 30(4):376-408

5.]Zimmermann M.B, Boelart K. (2015) Iodine deficiency and thyroid disorders. Lancet Diabetes Endocrinoi, http://dx.doi.org/10.1016/S2213-8587(14)70225-6

6.Hey I., Thamm M., Thamm R. (2019) Monitoring der Jodversorgung bei Kindern und Jugendlichen, Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS Welle 2), Robert Koch-Institut.

7.Hey I., Thamm M. (2019) Abschlussbericht: Monitoring der Jod- und Natriumversorgung bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Studie des Robert Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS Welle 2)

8.Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): Jod. In: Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Bonn, 2.Auflage, 4. Aktualisierte Ausgabe (2018)

9.Esche J., Remer T. (2019) Biomarker-basierte Langzeitanalysen zur Ermittlung des Anteils von Jodsalz an der Salzaufnahme und der Jodversorgung in der deutschen Bevölkerung. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt zur Bereitstellung wissenschaftlicher Entscheidungshilfe für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).

10.Robert Koch-Institut – RKI (Hrsg.) (2015) Gesundheit in Deutschland. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. RKI, Berlin

11.Johner S.A., Thamm M., Schmitz R. et al. (2016) Examination of iodine status in the German population: an example for methodological pitfalls oft he current approach of iodine status assessment. Eur J Nutr, 55(3):1275-82

12.Remer T., Johner S.A., Thamm M. (2016) DONALD – ein Sensor für die Jodversorgung in Deutschland: Vergleich der Jodversorgung von Kindern mit Daten aus KiGGS & DEGS. ErnährungsUmschau, 8/2016,M470-M473

13.Schöne F. (2016) Jod in Milch und Eiern über Tierfutterjodierung – wichtige Jodquellen unserer Nahrung. ErnährungsUmschau, 03/2016, M138-139

14.Thamm M. et al. (2007) Jodversorgung in Deutschland – Ergebnisse des Jodmonitorings im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS).

15.Remer T. (2019) Beiträge von Jodsalz an der Jodversorgung und der Gesamtsalzzufuhr in Deutschland: Ein Vergleich mit der Schweiz, Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften (IEL), Universität Bonn

16.Bissinger K. et al. (2019) Repräsentative Markterhebung zur Verwendung von Jodsalz in handwerklich und industriell gefertigten Lebensmitteln. Abschlussbericht zum Forschungsprojekt zur Bereitstellung wissenschaftlicher Entscheidungshilfe für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).

17.Großklaus R. (2007) Nutzen und Risiken der Jodprophylaxe. Einfluss von Jodsalz auf Schilddrüsenkrankheiten und die Gesundheit des Menschen. Präv Gesundheitsf;2:159–166

18.Völzke H. et al. (2018) How Do We Improve the Impact of Iodine Deficiency Disorders Prevention in Europe and Beyond? Eur Thyriod J;7:193–200

19.The EUthyroid Consortium (Hrsg.) (2018) The Krakow Declaration on Iodine: Tasks and Responsibilities for Prevention Programs Targeting Iodine Deficiency Disorders. Eur Thyroid J;7:201–204


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