Aktueller Stand der Jodversorgung in Deutschland




Endemische Jodmangelkröpfe und Schilddrüsenerkrankungen waren bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein bekanntes und weit verbreitetes Gesundheitsproblem in weiten Teilen der Erde. Als eines der ersten Länder initiierte die Schweiz Präventionsprogramme. 1922 wurde dort zunächst regional, später bevölkerungsweit mit der Jodsalz-Prophylaxe begonnen. Weitere Pionierländer mit „frühen“ Prophylaxeprogrammen waren die USA (1923), Schweden (1930), Finnland und Österreich (1948), aber auch Australien (1947-1953).

Entscheidende Signalwirkung zur Bekämpfung des weltweiten Jodmangels hatte der UN-Weltkindergipfel 1990 (UN-World Summit for Children, Unicef). In einer Resolution verpflichteten sich 192 Unterzeichnerländer – darunter auch Deutschland – zu nationalen Gesundheitsprogrammen, um den Jodmangel bis zum Jahr 2000 zu beseitigen. Deutschland hat dieses Ziel jedoch bis heute nicht vollständig erreicht.

1. WHO-Kriterien für eine optimale Jodversorgung

Der Jodmangel ist ein naturbedingtes Phänomen und muss daher dauerhaft und konsequent ausgeglichen werden, um die Bevölkerung in endemischen Jodmangelgebieten vor gesundheitlichen Problemen zu schützen.
Entscheidend ist demnach die Nachhaltigkeit der Jodmangel-Prävention. Darauf weist auch die WHO mit Nachdruck hin.

Im Jahr 2002 etablierte die WHO ein globales Netzwerk für die Nachhaltigkeitsprüfung im Kampf gegen den Jodmangel – vor allem von Kindern und Müttern http://www.sph.emory.edu/iodinenetwork/. Als Mittel der Wahl empfiehlt die WHO die Jodsalz-Prophylaxe, d.h. die bedarfsgerechte Anreicherung des Speisesalzes.

Nachhaltigkeit der Jodmangelprävention (Sustainable elimination of Iodine Deficiency disorders) bedeutet:
a) Konsequente, dauerhafte und universelle Jodsalzverwendung

in mehr als 90% der Privathaushalte
in allen Bereichen (mehr als 95%) der Lebensmittelherstellung und des Speisenangebots
mit einer Jodanreicherung von mindestens oder mehr als 15 mg Jod/kg Speisesalz
mit dem Ziel einer altersentsprechenden Jodaufnahme von insges. 100-300 µg/Tag (Erwachsene: 180-200 µg/Tag)

b) Gewährleistung eines dauerhaft optimalen Jodversorgungsstatus messbar durch

Jod-Harnausscheidung: ausreichende Versorgung bei mehr als 100 µg Jod/ Liter für Neugeborene, Kinder, Erwachsene. Tolerabel sind max. 20% der Bevölkerung mit Jodharnausscheidung von unter 50µg Jod/ L
TSH-Screening von Neugeborenen (TSH= Schilddrüsenstimulierendes-Hormon, Bestimmung im Serum): unter 5mU/Liter. Tolerabel sind max. bei 5% der Neugeborenen TSH-Werte von mehr als 5mU/L
Sonographischer Ausschluss von Schilddrüsenvergrößerung (Kropfgrad 0). Tolerabel sind Schilddrüsenvergrößerungen (höher als 97% Altersperzentile) bei max. 5% der Kinder im präpuberalen Alter

c) Regelmäßige Überprüfung der Jodversorgung in der Bevölkerung

Regelmäßige repräsentative Erhebung der Jodversorgung unter Einbeziehung von Risikogruppen wie Säuglinge, Kleinkinder, Schwangere, Stillende

2. Jodversorgungslage heute

2.1. Weltweit

Nach einem aktuellen Bericht „Jodversorgung weltweit“ (Dezember 2004) der WHO (Weltgesundheitsorganisation) hat sich die Jodmangelsituation merklich verbessert, aber das Jodmangelproblem bleibt auch 2005 auf der Tagesordnung der UN. Im Jahr 2003 standen von 126 Ländern Daten zur Jodversorgung zur Verfügung. In 43 Ländern gilt die Jodversorgung inzwischen als ausreichend. In 29 Ländern ist die Jodaufnahme reichlich bis überreichlich (z.B. durch Verzehr von Fisch und Algenprodukte).

Hingegen ist die Jodaufnahme in 54 Ländern unzureichend, davon in 14 mangelhaft. Noch immer profitieren weltweit nahezu 70 Millionen Neugeborene nicht vom gesundheitlichen Nutzen der Jodmangelprophylaxe.

2.2. In Europa

Nach dem WHO-Bericht „Jodversorgung weltweit“ ist die europäische Bevölkerung in 15 Ländern ausreichend versorgt, in 19 Ländern herrscht ein milder Jodmangel und in 4 weiteren Ländern ein gravierendes Joddefizit. In keinem europäischen Land gibt es Hinweise auf eine überreichliche oder überhöhte Aufnahme. Von 14 Ländern liegen der WHO keine Daten vor.

Insgesamt gelten 56,9% der europäischen Bevölkerung (gemessen an Jodharnausscheidung von <100µg/l) und 59,9% der Schulkinder (6-12 Jahre) als unzureichend mit Jod versorgt. Nach Angaben des ICCIDD (International Council for the Control of Iodine Deficiency Disorders, März 2003) ist die Jodversorgung in Europa nach wie vor uneinheitlich. Schwere Jodmangelzustände sind allerdings erheblich zurückgegangen. Ausreichende Versorgungslage, u.a. in: Finnland, Großbritannien, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweiz Nahezu ausreichende Versorgung, u.a. in: Island, Luxemburg, Norwegen, Schweden Nicht ausreichende Versorgung (überwiegend milder Jodmangel), u.a. in: Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Spanien, Ungarn Diese Wertung wird durch den aktuellen Europäischen Ernährungsbericht 20042) bestätigt. Als sehr gut versorgt gelten Großbritannien und vor allem Finnland aufgrund des dort sehr hohen Fischverzehrs (2-2,5fach höher als in Deutschland) und der seit 1949 durchgeführten Pflichtjodierung des Speisesalzes. 2.3. In Deutschland Nach dem WHO-Bericht "Jodversorgung weltweit" (Dez. 2004) haben 27% der 6- bis 12-jährigen der Schulkinder eine unzureichende Jodversorgung (Jodharnausscheidung <100µg/L). Das entspricht etwa 1,3 Mio Kindern. In der Gesamtbevölkerung Deutschlands gelten nach WHO 22,3 Mio als Jodunterversorgt. Nach Angaben des ICCIDD (März 2003) hat sich in Deutschland die Jodversorgungslage seit 1990 deutlich verbessert. Es besteht aber allgemein noch ein milder Jodmangel (Jodmangel Grad I). Im Vergleich zu den Nachhaltigkeits-Kriterien der WHO ergibt sich folgender Stand: mittlere Harnjodausscheidung: 88 µg/Liter (WHO: >100 µg/L = ausreichende Versorgung; 50-100 µg/Liter bei Jodmangel Grad I)
84% der Haushalte verwenden Jodsalz (WHO: Soll >90%)
Jodierung des Speisesalz: 20 µg Jod/g Speisesalz (WHO: Soll >/= 15 µg/g)
keine regelmäßige repräsentative Überprüfung der Jodversorgung. Erste und letzte repräsentative Erhebung im Jahr 1996 („Jod-Monitoring“)

Im Europäischen Ernährungsbericht 2004 wird Deutschland ein deutlicher Erfolg auf dem Weg zur Besserung der Jodversorgung bescheinigt. Aber die mittlere Jodaufnahme der deutschen Bevölkerung bleibt in allen Altersgruppen deutlich unter der bedarfsgerechten Menge und ist damit niedriger als beispielsweise im Nachbarland Österreich und erheblich geringer als in Finnland. So heißt es im Bericht, dass „weitere erhebliche Präventionsmaßnahmen mit Jodsalz und durch Lebensmittel mit Jodsalz notwendig sind“.

Nach Jod-Monitoring des Bundesministeriums für Gesundheit (1996):

Mittlere Zufuhr von 119 µg Jod/Tag bei Jugendlichen und Erwachsenen. Das entspricht etwa zwei Drittel der von der DGE (Deutschen Gesellschaft für Ernährung) empfohlenen Zufuhr von 180 – 200 µg Jod/ Tag/ Erwachsener.
Gruppen mit besonderem Risiko für jodmangelbedingte Gesundheitsprobleme sind: Schwangere und Stillende sowie Jugendliche in der Pubertät (wegen des erhöhten Bedarfs, Neugeborene und gestillte Säuglinge (wg. Jodmangel der Mutter).

Jodversorgungslage einzelner Bevölkerungsgruppen

Nach verschiedenen regionalen Studien und Untersuchungen einzelner Bevölkerungsgruppen:
a) Erwachsene

Papillon-Studie (2004): Schilddrüsen-Ultraschalluntersuchung (96.278 Erwerbstätige aus 214 Betrieben, Verwaltungen etc.,18 – 65 Jahre): Auffällige Befunde der Schilddrüse (Kropf, Knoten) wurden bei 33,1 % der Untersuchten festgestellt. Eine vergrößerte Schilddrüse ohne Knoten trat bei 9,7 %, Knoten ohne eine Vergrößerung bei 14,3 % und eine Struma mit Knoten bei 9,1 % auf. Eine Struma findet sich bei Männern häufiger, während Knoten häufiger bei Frauen auftreten. Mit zunehmendem Alter erhöht sich die Anzahl auffälliger Befunde bei beiden Geschlechtern. Die Untersuchungsergebnisse belegen, dass Schilddrüsenfunktionsstörungen infolge Jodmangels weiterhin häufig zu finden sind, jedoch aufgrund der greifenden besseren Jodversorgung bei den Jüngeren abnehmen.

Ähnliche Befunde ergab eine Untersuchung zur Jodversorgung bei 298 Patienten mittleren Alters einer allgemeinmedizinischen Praxis in Gütersloh (2005). Im Rahmen dieser Studie wurde ein Medianwert von 86 µg Jodid/l Urin bzw. 83 µg Jodid/g Kreatinin ermittelt. Nach den Beurteilungskriterien des International Council for the Control of Iodine Deficiency Disorders (ICCIDD) ist bei der untersuchten Patientengruppe von einer im Durchschnitt nicht ausreichenden Jodversorgung auszugehen. Im Detail zeigte sich, dass 27,8% der Männer und 35,7% der Frauen eine ausreichende Jodversorgung haben. Hingegen haben gemessen an der Jodharnausscheidung 54% der Männer und 53% der Frauen einen Jodmangel Grad I und 18,1% der Männer und 11,4% der Frauen einen Jodmangel Grad II/III.

Bedeutsam ist insbesondere die nicht ausreichende Jodversorgung bei Frauen im gebärfähigen Alter, die im Falle einer Schwangerschaft und beim Stillen einen erhöhten Jodbedarf haben. Nach den Ergebnissen dieser Studie müsste die Jodzufuhr bei schwangeren und stillenden Frauen um ca. 100 µg/Tag angehoben werden, um eine ausreichende Jodversorgung sicherzustellen.

b) Schulkinder

Verschiedene Einzeluntersuchungen und regionale Studien zeigen eine deutlich verbesserte bis ausreichende Jodversorgung; eine Übertragbarkeit der Befunde auf Gesamtdeutschland ist wegen der begrenzten Zahl von untersuchten Kindern aber nicht möglich.

128 Städte, 3.065 Kinder: Im Durchschnitt ausreichende Versorgung (mittlere Jodharnausscheidung 148µg/L), aber 27% der Kinder mit Jod-Harnausscheidung von unter 100µg/L (Jodmangel Grad I), davon 7% unter 50µg/L (Jodmangel Grad II)

Würzburg, 591 Kinder: Im Durchschnitt ausreichende Versorgung (mittlere Jodharnausscheidung 183µg/L), aber 15% der Kinder mit Jod-Harnausscheidung von unter 100µg/L (Jodmangel Grad I)

Berlin, 1.080 Kinder: Im Mittel ausreichende Versorgung (mittlere Jodharnausscheidung 122µg/L), aber 41,3% der Kinder mit Jod-Harnausscheidung von unter 100µg/L (Jodmangel Grad I)

Erlangen: Im Mittel ausreichende Versorgung (mittlere Jodharnausscheidung 111µg/L), aber 47% der Kinder mit Jod-Harnausscheidung von unter 100µg/L (Jodmangel Grad I)

Greifswald: Im Durchschnitt ausreichende Versorgung (mittlere Jodharnausscheidung 122µg/L), aber 25,5% der Kinder mit Jod-Harnausscheidung von unter 100µg/L (Jodmangel Grad I) und 9,5% mit Jod-Harnausscheidung von unter 50µg/L (Jodmangel Grad II, III); 9% der Schüler 11-17 Jahre haben einen Kropf, bei den 7-10-Jährigen sind es 4%.

c) Neugeborene/Säuglinge

Deutlicher Rückgang der Häufigkeit des angeborenen Kropfes (Struma connata) auf weniger als 1% bei Neugeborenen. Doch bei ca. 10 % der neugeborenen Kinder besteht noch ein Jodmangel mit verminderter Schilddrüsenhormonproduktion.

d) Schwangere

Insgesamt bessere, aber noch nicht ausreichende Jodversorgung. Durch die nicht mehr mögliche Verordnung von Jodtabletten zur Prophylaxe dürfte sich die
Jodversorgungslage für Schwangere und Stillende in den letzten Jahren eher wieder verschlechtert als weiter verbessert haben. Etwa ein Fünftel bis zu einem Drittel der Frauen geht auch heute noch mit einer Struma in die Schwangerschaft
und etwa jede fünfte Schwangere hat eine gestörte Schilddrüsenfunktion. Schwangere und Stillende zählen somit zu den Risikogruppen.

e) Singlehaushalte und junge Sportler

Eine weitere Risikogruppe scheinen Singlehaushalte zu sein, in denen nicht regelmäßig gekocht, sondern überwiegend Fastfood konsumiert wird. Eine aktuelle Untersuchung am Olympia-Stützpunkt Rhein-Ruhr über das Ernährungsverhalten bei jungen Freizeit- und Leistungssportlern zeigt, dass auch diese Gruppe die Referenzwerte für die Jodzufuhr nicht erreicht.

3. Jodsalzverwendung in Deutschland 2005

a) Daten zu Jodsalzanteilen in Deutschland

Rund 80 % des Speisesalzabsatzes in Haushaltsgebinden sind Jodsalz, Jodsalz mit Fluorid bzw. Jodsalz mit Fluorid + Folsäure

Aber nur rund 32 % des Speisesalzabsatzes in Großgebinden und als lose Ware sind Jodsalz bzw. jodiertes Pökelsalz

b) Angaben zu Jodsalzverwendern in Deutschland

80% der Privathaushalte (Jodsalz/ Jodsalz mit Fluorid, Jodsalz mit Fluorid + Folsäure
70-80% der Gastronomiebetriebe
60-80% der Bäcker- und Fleischerbetriebe
50-60% der Lebensmittelindustrieunternehmen (jedoch z. T. nur in einzelnen Produkten)

Die Nachhaltigkeits-Kriterien der WHO, d.h. Jodsalzverwendung in mehr als 90% der Haushalte und in allen (mehr als 95%) Bereichen der Lebensmittelverarbeitung und des Speisenangebots, sind somit noch nicht erreicht.

Fazit: Nach den Ergebnissen des Jod-Monitoring 1996 und aktuellen Daten von regionalen Untersuchungen hat sich die Jodversorgung in Deutschland spürbar verbessert. Regional gut versorgt sind insbesondere Schulkinder. Bundesweit ist aber noch kein hinreichender und bevölkerungsweiter Ausgleich des Jodmangels erzielt worden. Von einer Überversorgung mit Jod kann deshalb nicht die Rede sein. Vielmehr besteht in Deutschland gemäß WHO-Definition weiterhin ein milder Jodmangel Grad I. Bei etwa 30 % der Bevölkerung liegt immer noch ein leichter bis moderater Jodmangel vor. Gemessen an den Zufuhrempfehlungen der DGE beträgt das Joddefizit derzeit 60 – 80 µg pro Tag.

1) WHO: Iodine status worldwide – WHO Global Database on Iodine Deficiency, Genf 2004; http://www.who.int/mediacentre/news/releases/2004/pr93/en/ siehe link „Iodine status worldwide“ pdf 1,2 Mb
2) The European Nutrition and Health Report 2004, (Hrs. I. Elmadfa, E. Weichselbaum), Forum of Nutrition Vol. 58, Karger Verlag Basel 2005

Quelle: Arbeitskreis Jodmangel